Gesprächskreis Theologie
Im Dietrich Bonhoeffer Haus Trierer Straße 37, 66822 Lebach weiterlesen
Umtriebig, hochengagiert, glaubwürdig, nahbar. Möchte man Christine Unrath beschreiben, fallen viele Schlagworte ein. Als Pfarrerin im Saarland hat sie nachhaltige Spuren hinterlassen und viele Arbeitsbereiche geprägt, nicht zuletzt als erste Polizeipfarrerin im Saarland. Zum Ende des Jahres tritt sie in Ruhestand.
Protestantisch-sozialdemokratische Prägung
Christine Unrath wurde 1960 in Saarbrücken-St. Johann geboren. Da ihr Vater verstarb, als sie noch klein war, lag ihr Lebensmittelpunkt auf dem Rodenhof. Dort wohnten die Großeltern, sozialdemokratisch gesinnte Protestanten, deren Einfluss sie und ihre jüngere Schwester nachhaltig prägten. Früh kamen die Mädchen mit der Gedankenwelt des Pfarrers und Widerstandskämpfers Dietrich Bonhoeffer in Berührung, nach dem das evangelische Gemeindezentrum auf dem Rodenhof benannt ist. Dort besuchte Christine den Kindergottesdienst und später, nach der Konfirmation, den Jugendkreis „Teestube“.
Weg zum Theologie-Studium
Als Jugendliche wollte sie eigentlich Lehrerin werden, später auch mal Pathologin. Den Ausschlag dafür, dass sie Pfarrerin wurde, gab schließlich ihre Mutter, die sagte: „Die Arbeit in der Kirche macht dir doch so viel Spaß. Gehen wir mal zum Pfarrer.“ Gesagt, getan. Der damalige Pfarrer Paul Dittscheid warb für das Studium der Evangelischen Theologie, die Einschreibung in Saarbrücken, danach Mainz und Heidelberg war danach beinahe Formsache. Nach nur 13 Semestern schloss Christine Becker, wie sie damals noch hieß, ihr Examen ab. Es musste schnell gehen, denn während ihres Studiums verstirbt überraschend ihre Mutter.
Überhaupt verlief ihr Privatleben in jener Zeit turbulent. Damals gab es in Saarbrücken zwei alleinstehende Pfarrerinnen. Für Christine Becker war das keine ansprechende Perspektive. Noch als Studentin heiratete sie, nahm den Namen Christine Saar an. Doch die Ehe mit einem Saarbrücker hielt nicht lange. Eine Scheidung hätte zu jener Zeit, in den 1980er-Jahren, noch nachhaltige berufliche Folgen mit sich bringen können. Doch ihr Ex-Mann nahm wahrheitsgemäß alle Schuld auf sich, ihrem Eintritt in den Pfarrdienst stand also nichts mehr im Wege.
Erste Pfarrstelle in Alt-Saarbrücken
Nach ihrem Vikariat, der praktischen Pfarramtsausbildung – natürlich auf dem Rodenhof – und ihrer Ordination trat sie 1990 ihre erste Pfarrstelle in Alt-Saarbrücken kann. „Einfach schön“ sei die Zeit dort gewesen, schwärmt Unrath rückblickend. Dort habe man eine Gemeinde in all ihrer Fülle erleben können, mit unterschiedlichen Milieus, Gruppen und Kreisen für jedes Alter und einer vielfältigen Ökumene, die über das Miteinander zwischen römisch-katholischer und evangelischer Kirche hinausreichte. Die Vernetzung herzustellen mit all diesen unterschiedlichen Gruppen und Menschen sei etwas gewesen, was ihr immer große Freude bereitet habe, sagt sie.
Der Ökumene ist es auch zu verdanken, dass sie ihren heutigen Mann Karl-Martin Unrath kennenlernte, der damals Pfarrer der evangelisch-methodistischen Gemeinde in Saarbrücken war. Bei einem Besuch in seinem Pfarramt fiel ihr auf: „Der hat ja die gleichen Bücher wie ich im Regal stehen!“ Das war der Anfang einer über drei Jahrzehnte währenden Beziehung und einer Familie, die inzwischen um Tochter, Schwiegersohn und zwei Enkel gewachsen ist.
Mit Leib und Seele Polizeiseelsorgerin
Bis 2003 blieb Unrath in Alt-Saarbrücken, doch reifte in ihr der Wunsch nach neuen Herausforderungen. Nachdem sie bereits im Schuljahr 2002/2003 begonnen hatte, an der Marienschule evangelischen Religionsunterricht zu erteilen, ergab sich die Gelegenheit, neben einer halbe Stelle an dem Gymnasium eine halbe Stelle als Polizeiseelsorgerin zu übernehmen, ab 2007 dann als Landespolizeipfarrerin. Bei der Polizei trat sie diejenige Stelle an, mit der sie saarlandweit bis heute identifiziert wird. Und das nicht von ungefähr. Unrath krempelte die Ärmel hoch, besuchte innerhalb von zwei Jahren jede Dienststelle im Saarland, fuhr mit auf Streife und im Nachtdienst, nahm an Großeinsätzen teil – natürlich in der typischen Uniform-Lederjacke, ergänzt durch den Schriftzug „Seelsorge“. Für sie bis heute unvergessen: der erste Einsatz in Gorleben 2003, bei dem sie auf Wunsch der Beamt:innen ungeplant „einen meiner intensivsten Gottesdienste“ feierte, mit einem von Uniformierten gebastelten Kreuz auf einem improvisierten „Altar“ und spontan zusammengestellten Texten. Sie war daran beteiligt, nach dem Amoklauf von Erfurt die Konzeption zur Betreuung nach schwerst-belastenden Situationen auch für die saarländische Polizei umzusetzen und führte die Supervision in die Polizeiarbeit ein. Daneben erteilte sie auch an der Fachhochschule Berufsethik für angehende Polizeibeamt:innen.
„Dadurch war ich bei fast allen bekannt“, sagt sie. Dass sie nicht nur gekannt, sondern auch geschätzt wurde, belegt der Gottesdienst in der restlos gefüllten Stiftskirche St. Arnual mit zahlreichen Uniformierten, in dem sie 2014 als Polizeiseelsorgerin verabschiedet wird.
Zurück zu den Wurzeln – in den Gemeindepfarrdienst
Denn „auf dem Höhepunkt einer wunderschönen Zeit“ wollte sie nochmal zu ihren Wurzeln im Gemeindedienst zurückkehren, sagt Unrath, die ihren Abschied von der Polizei auch damit erklärt, dass sie gehen wollte, bevor ihr Außeneinsätze und Wechselschichten irgendwann nicht mehr so leicht von der Hand gehen würden.
Zudem bot sich in ihrer Wohnortgemeinde St. Wendel – das Ehepaar Unrath lebt im Ortsteil Leitersweiler – die Möglichkeit einer freien Pfarrstelle und einer Gemeinde, die sie ausdrücklich einlud zu kommen. Dort konnte Unrath in den folgenden acht Jahren wieder das tun, was ihr besonders lag – zupacken und Menschen vernetzen. Neben der Ökumene, die im überwiegend katholischen St. Wendeler Land nicht überall selbstverständlich ist, lag ein wesentlicher Fokus auf der Flüchtlingsarbeit, die die ersten Jahre ihres Dienstes prägte. Das Bonhoeffer-Zitat „Kirche ist Kirche, wenn sie für die Menschen da ist“, gewann für sie in jener Zeit eine noch größere Bedeutung. Schon früh erweitert die Kirchengemeinde ihre Angebote in diesem Bereich, richtet Deutschkurse in den eigenen Räumlichkeiten ein, organisiert Wohnraum, stockt mithilfe von Fördermitteln Personal für die Begleitung der Ankommenden auf. Eine Initiative der damaligen Flüchtlingsbeauftragten der Diakonie Saar Maike Lüdeke-Braun aufgreifend, führte sie die ökumenischen Hoffnungsgottesdienste, die zuvor als Klagegottesdienste in Gedenken an Fluchtopfer entstanden waren und inzwischen der Hoffnung auf ein friedliches Zusammenleben gewidmet sind, gemeinsam mit ihrem katholischen Kollegen bis zu ihrem Ausscheiden weiter.
2023 wechselte sie schließlich in die Kirchengemeinde Saarbrücken-West, versorgte gemeinsam mit Pfarrerin Anja Schild die Stadtteile Altenkessel, Gersweiler. Klarenthal. Ein halbes Jahr später kam der Pfarrdienst in der Kirchengemeinde Malstatt hinzu, wo es nach der Ruhestandsversetzung des dortigen Pfarrers großen Bedarf gab. Ihre Vikarin Olivia Scheib, die sie als Mentorin begleitete, ließ sich ebenfalls auf die Arbeit in zwei Gemeinden ein.
Ehrenämter und Pläne für den Ruhestand
Manch anderer wäre bei den Aufgaben eines Gemeindepfarramts schon vollends ausgelastet. Christine Unrath dagegen war es stets wichtig, sich in Gremien und Ausschüsse der Kirche einzubringen, zeitweise auch in Leitungsgremien. Über 30 Jahre wirkt sie als Sprecherin von Radio- und später TV-Andachten beim Saarländischen Rundfunk. Die Fülle all ihrer Ehrenämter aufzuzählen, würde Seiten füllen. Wichtig war und blieben ihr aber besonders die Ökumene und die Erinnerungsarbeit.
Mit ihrer Pensionierung will sie nun vieles davon auslaufen lassen – aber nicht alles. Vor kurzem ist sie zur Vorsitzenden des Vereins „Wider das Vergessen Marpingen“ gewählt worden. Auch als Supervisorin möchte sie weiterhin aktiv bleiben, und – falls gewünscht, als Ruhestandspfarrerin Gottesdienstvertretungen übernehmen, auf jeden Fall aber weiter gelegentlich Gottesdienst für die Queer-Gemeinde Saar halten. Dafür wird sie ab Januar 2026 von Verwaltungsaufgaben entlastet sein. So freut sie sich darauf, mehr Zeit für ihre Familie zu haben, besonders für die beiden Enkelkinder. Das Herzensprojekt für den Ruhestand steht ebenfalls schon fest: ein Bauerngarten, der im kommenden Jahr hinter ihrem Haus entstehen wird.
Info
Christine Unrath wird in einem Gottesdienst am Sonntag, 14. Dezember, um 14 Uhr in der Evangelischen Kirche Gersweiler (Hauptstraße 100) durch Superintendent Christian Weyer offiziell entpflichtet. Im Anschluss sind alle Gäste zum gemütlichen Beisammensein mit Kaffee und Kuchen im evangelischen Gemeindesaal (Krughütter Straße 4) eingeladen.